Entstehungsgeschichte
Die seit Eröffnung der Höllentalbahn zwischen den Stationen Hirschsprung und Hinterzarten installierte Zahnstange stand nach dem Ende des Ersten Weltkrieges weiteren Verkehrssteigerungen (vgl. Eröffnung der Dreiseenbahn 1926) auf dieser Strecke entgegen. Der Betriebsablauf mit den Zahnradlokomotiven, die speziell vorgehalten werden mussten, war äusserst aufwändig und teuer, die Fahrzeiten lang. Diesem Zustand wollte die DRG alsbald Abhilfe schaffen. Doch die aufsehenerregende Zielsetzung, die Höllentalbahn durchgehend im reinen Adhäsionsbetrieb zu betreiben, erforderte nicht nur ausserordentlich leistungsfähige Lokomotiven, sondern machte wegen deren hohem Reibungsgewicht letztlich auch den Ausbau der ganzen Strecke notwendig. So erfuhr die Höllentalbahn im Zusammenhang mit dem Einsatz von schweren Dampflokomotiven an verschiedenen Orten tiefgreifende Änderungen, insbesondere wurde der Oberbau für die hohen Achslasten verstärkt (u.a. Neubau Ravennaviadukt, völlig neue Streckenführung auf Freiburger Stadtgebiet u.a.). Die DRG brachte Strecke und Betriebsführung der Höllentalbahn Ende der zwanziger Jahre auf einen zeitgemässen Stand. Sie wurde dabei u.a. von den positiven Umstellungen auf Adhäsionsbetrieb im Harz (vgl. Halbenstadt-Blankenburger Eisenbahn HBE) und an anderen Orten bestärkt. Die Baureihe 85 wurde deshalb speziell für den Einsatz auf der
Höllental- und Dreiseenbahn entwickelt und gebaut. Dass die Reichsbahn
im Rahmen ihres bekannten Einheitslokomotivbauprogramms Speziallokomotiven
in kleiner Serie nur für eine bestimmte Strecke bauen liess, war eine
grosse Ausnahme, da dies bis zu einem gewissen Grade der Vereinheitlichungs-Idee
zuwiderlief. Ähnliches geschah im Fall der Baureihe 84 für die
Müglitztalbahn, welche der Baureihe 85 auch äusserlich stark
glich, allerdings speziell kurvengängige Laufwerkskonstruktionen aufwies.
Konstruktionsmerkmale Die Baureihe 85 hatte ihre Vorläuferkonstruktion (gleiche Achsfolge) unter den Länderbahnbauarten in der pr. T20 (später BR 95.0), und diese wiederum in der "Tier-Klasse" (später BR 95.66) der Halbenstadt-Blankenburger Eisenbahn (HBE). Diese beiden Konstruktionen wiesen allerdings nur zwei Zylinder auf. Die 85 kann damit als eine Art Zenith unter den 1'E1' Tenderlokomotiven in Deutschland betrachtet werden: diese nur zehn Exemplare umfassende und von Henschel in Kassel erbaute Dampflokbaureihe stellte zu jeder Zeit die längste, schwerste und leistungsfähigste Einrahmen-Tenderlok der Deutschen Reichsbahn dar. Die 85 war eine charakteristische Einheitslokomotive; die Konstrukteure
konnten hier die Vorteile der Vereinheitlichung (Zeit- und Kostenersparnis)
voll ausspielen: so waren bei der 85 viele Teile baugleich mit anderen
Baureihen, beispielsweise entsprach der Kessel weitgehend jenem der Baureihe
62 (bis auf die Rauchkammer gleiche Hauptabmessungen sowie zusätzlicher
Sanddom) und das Triebwerk war der Baureihe 44 entlehnt, wobei eine zusätzliche
Nachlaufachse eingebaut wurde. Ursprünglich mit Zwillingstriebwerk
geplant, entstand die 85 doch als Dreizylinderlok; der dritte Zylinder
lag schräg unterhalb der Rauchkammer und wirkte über ein Innentriebwerk
auf die gekröpfte zweite Kuppelachse (die beiden Aussenzylinder wirkten
auf die dritte Treibachse). Die Gegengewichte der Räder der zweiten
Treibachse waren versetzt angeordnet, um einen ausgeglichenen Lauf zu erreichen.
Technische Daten DRG-Baureihe 85
** Spitzenwert aller deutschen Dampflokkonstruktionen Betriebseinsatz Als die neuen Lokomotiven im Jahr 1933 im Höllental erschienen,
endete der Zahnradbetrieb
bald darauf definitiv, im Oktober des gleichen Jahres.
Die Loks dieser Baureihe konnten auf der Steilstrecke der Höllentalbahn (55,5 Promille Steigung), zwischen Hirschsprung und Hinterzarten bei voller Leistungsentfaltung und optimalen Bedingungen einen Zug bergwärts mit etwas über 20 km/h (zum Vergleich: die heutige Höchstgeschwindigkeit beträgt bergauf 60 km/h) befördern. Selbstverständlich wiesen alle zehn Loks leistungsfähige Gegendruckbremsen auf, welche bei Steigungen über 40 Promille gemeinsam mit der üblichen Druckluftbremse eingesetzt werden musste. Auch die 85er hatte eine Leistungsgrenze. Die lag auf der Steilstrecke bei etwa zwei bis drei vierachsigen Reisezugwagen; längere Züge wurden mit Schiebelok gefahren. Die Baureihe 85 wurde in allen Zuggattungen eingesetzt. Neben den Nahverkehrszügen mit den kurzen Einheitsnebenbahnpersonenwagen der geschweissten Bauart (Ci-33) wurden auch hochwertige Züge beförert, so u.a. den schweren E371 Colmar - München. Aus Sicherheitsgründen durften die Dampflok ausschliesslich mit der Rauchkammer voraus bergwärts gefahren werden, so stand es in der Spezial-DV zur Höllental Steilstrecke. Nur wenige Monate liefen die neuangelieferten Maschinen beim Bw Villingen, im übrigen war die Baureihe 85 praktisch die ganze Einsatzzeit von 1933-1960 beim Bw Freiburg beheimatet. Die erstgebaute 85er war zu Untersuchungen einige Male in der Lokversuchsanstalt (LVA) Grunewald. Üblicherweise wurden diese Lokomotiven zwischen Freiburg und Neustadt (Schwarzwald), sowie auf der Dreiseenbahn Titisee - Seebrugg vor allen Zügen eingesetzt. Fahrten auf der hinteren Höllentalbahn Neustadt - Donaueschingen, der Schwarzwaldbahn und der Geislinger Steige waren nicht planmässig; die Bonndorferbahn schied aufgrund der hohen Achslasten aus. Von einer Schreckensfahrt mit 85 002 im Jahr 1939 wird auf folgender empfehlenswerten Seite berichtet: Höllental- und Dreiseenbahn (J. Wissler). Im Krieg wurden manche Züge mit bis zu drei Lokomotiven der BR 85 über die Höllentalbahn-Steilstrecke gefahren (zwei Zug- und eine Schieblok). Dies stellte wohl zu jedem Zeitpunkt die extremste Zugförderungsleistung der RBD Karlsruhe dar, immerhin mit 15 Treibachsen und 9 Zylindern an einem Zug... Seltene Fotos dokumentieren den beeindruckenden Einsatz - einmalige Lok auf einmaliger Strecke. Während dieser düsteren Zeit verkehrten die Lokomotiven mit abgedunkelten Spitzensignalen und aufgemalten weissen Warnringen auf den Puffern. Durch die Kriegswirren waren einige Maschinen 1945 für kurze Zeit beim Bw Bruchsal im Nordschwarzwald beheimatet. Die meisten 85er wurden nach Kriegsende, nachdem sie vor den vorrückenden Alliierten zurückgezogen worden waren, im Bf Pforzheim (Nordbaden) wiederaufgefunden. Die 85 002 stand im Bf Waldshut, die 85 004 war Kriegsverlust (irreparabel beschädigt bei Tieffliegerangriff im Bf Kirchzarten 1944). Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die verbliebenen Loks beim Wiederaufbau
der Strecke unersetzlich und besonders in den auftrebenden fünfziger
Jahren, der Wirtschaftswunderzeit, wurden die Lokomotiven noch einmal stark
beansprucht. Die Starleistung dieser letzten Einsatzzeit stellte der Reisebürosonderzugverkehr
(Touropa/Schwarnow/Hummel) dar. Besonders bei den Touropa-Sonderzüge,
welche in dieser Zeit (fünfziger und sechziger Jahre) nach Hinterzarten,
Schluchsee,
Seebrugg, Lenzkirch
oder Bonndorf verkehrten, war man auf die Nachschubdienste der Dampfloks
angewiesen. Beim Ausfall der Elok, was immer wieder vorkam, gab es sogar
Dampf-Doppeltraktion.
Mit der Umstellung der Höllentalbahn auf das übliche Bahnstromnetz musterte die Bundesbahn alle hier bislang eingesetzten Spezialfahrzeuge (BR 85, E 244) aus, schliesslich wurden diese Lokomotiven allesamt als sogenannte Splittergattungen betrachtet, für die man im Rahmen einer Bereinigung des Fahzeugbestandes sowie des Strukturwandels (bei den Dampflokomotiven) keine Verwendung mehr hatte - man versuchte bereits damals die Anzahl unterschiedlicher Baureihen zu verringern. Da die meisten 85er aber zum Zeitpunkt ihrer Ausmusterung noch in gutem Zustand waren, suchte man dennoch ein neues Einsatzgebiet. Tatsächlich kam die heutige Denkmallkomotive, die 85 007 noch für etwa eineinhalb Jahre zum Bw Wuppertal-Vohwinkel bei der BD Wuppertal, um auf der Steilstrecke Erkrath - Hochdahl Schiebedienste zu leisten. Da bereits damals die Elektrifizierung dieser Strecke absehbar war, setzte man aber keine weiteren 85-er mehr in Ruhrgebiet um. Einige 85-er wurden noch für einige Zeit als Heizlokomotiven "aufgebraucht". Beim Betrachten der historischen Fotos schlägt vielen Eisenbahnfans
das Herz höher; dabei sollte bei aller nostalgischer Verklärung
nicht vergessen werden, dass der Dienst für die Eisenbahner auf dieser
Lokgattung überaus anstrengend gewesen ist. Die Lokpersonale mussten
sich mit vielfältigen Problemen herumschlagen, die Steilstrecke verzeihte
keine Unzulänglichkeiten in Unterhaltung und Bedienung der Maschine.
Heutzutage wären diese Schindereien Niemandem mehr zuzumuten.
Denkmallokomotiven Immerhin eine 85er, die 85 007 ist erhalten geblieben und steht heute als Denkmal im Bahnhof Freiburg im Breisgau (BSW Gruppe Freiburg/VM Nürnberg DB AG), nachdem sie knapp zwanzig Jahre vor der Ingenieurschule in Konstanz gestanden hatte und zuvor bis 1966 im Bw Warburg hinterstellt war. Eine betriebsfähige Aufarbeitung ist ausserordentlich unwahrscheinlich, weil sie wegen des hohen Achsdrucks (max. 20,1 Tonnen je Treibachse) auf vielen Museumsbahnstrecken nicht einsatzfähig wäre und ihr Aktionsradius eher beschränkt ist - es ist eben eine Höllentaldampflokomotive. Die Erhaltung der 85 007 stellt eigentlich eine Sensation dar, da zu Beginn der sechziger Jahre sich kaum jemand um die museumsmässige Erhaltung von eben noch eingesetzten Dampfloks kümmerte. Offensichtlich wollte man bereits damals der "Legende Baureihe 85" ein Denkmal schaffen. Henschel baute darüberhinaus noch sieben unwesentlich modifizierte Nachbauten der Baureihe 85 für die Türkische Staatsbahn (anfang der fünfziger Jahre). Die 5701 aus dieser Serie ist erhalten geblieben (Eisenbahnmusem Camlik, Türkei). Bezüglich den Vorgängerkonstuktionen zur BR 85 mit gleicher
Achsfolge ist eine ehemalige HBE Lokomotive der "Tier-Klasse", die "Mammut"
erhalten geblieben, sowie mehrere Lokomotiven der Baureihe 95.0 (ehem.
pr T20) in verschiedenen Eisenbahnmuseen (u.a. 95 016 und 95 028).
Historische Foto- und Filmaufnahmen Von der Baureihe 85 entstanden im Verlauf ihrer Einsatzzeit erfreulich
viele Aufnahmen von zahlreichen Fotografen, viele davon sind in den unten
angegebenen Büchern zu finden. An Filmaufnahmen sind bislang nur zwei
kurze Sequenzen im DB-Werbefilm "kleiner Mann auf grosser Reise" von 1951
bekannt.
Weiterführende Literatur:
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Standardaufnahme der im Krieg zerstörten 85 004. Foto Carl Bellingrodt, Archiv Hanno Classen, Viersen
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Die schwere Höllental-Dampflok 85 007 wurde 1984 von Eisenbahnern
aus Freiburg und unter Mithilfe des AW Offenburg äusserlich aufgearbeitet.
In diesem hervorragenden Zustand präsentierte sich die Lok in einer Fahrzeugschau
auf dem Gelände des AW, welches vor einigen Jahren stillgelegt wurde.
Es war auch geplant, die die Maschine 1985 auf der grossen Fahrzeugausstellung
in Bochum-Dahlhausen zu präsentieren, der Zustand der Achslager ließ
aber einen Transport über eine solch lange Strecke nicht zu.
Aufnahme mit freundlicher Genehmigung von J. Künstler
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Denkmallok 85 007 im Gelände des Freiburger Hauptbahnhofs - Foto mit freundlicher Genehmigung von J. Rehnagel
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Der erwähnte Nachbau für die Türkei (Henschel 1952), Lok 5701 in Camlik. Aufnahme mit freundlicher Genehmigung von J.-P. Charrey
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Erhaltene Vorgängerkonstruktionen zur Baureihe 85:
links: Die "Mammut" der Halbenstadt-Blankenburger Eisenbahn (HBE)
weist einen besonders dicken Kessel auf und steht als Denkmallokomotive
heute in Rübeland.
rechts: Die ehem. pr. T20 95 028 wird heute im Eisenbahnmuseum Bochum-Dahlhausen
erhalten.
Beide Aufnahmen mit freundlicher Genehmigung von G. Schlender (c)
2001
Herr Schlender hat eine eigene Internetseite mit weiteren Aufnahmen zur Rübelandbahn.
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